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"Arabia Felix" steht am Abgrund

Regierung gegen Separatisten: Im Jemen entscheidet sich, ob das islamistische Terrornetzwerk al-Qaida eine neue Basis aufbauen kann

Sanaa - "Jemen ist Arabiens unbekannter Edelstein, den es noch zu entdecken gilt", heißt es im Bordmagazin "Yemenia". Das Hochglanzblättchen empfiehlt Bergwanderungen und Trekkingtouren durch die atemberaubende Heimat der legendären Königin von Saba.

Aber damit lassen sich keine Abenteuertouristen mehr in den Jemen locken. "Arabia Felix", das altrömische glückliche Arabien, ist selbst für hartgesottene Reisende nach diversen Entführungen ein bisschen Abenteuer zu viel. Im Juni waren zwei deutsche Frauen und eine Koreanerin getötet worden. Der Rest der gekidnappten Touristengruppe, eine fünfköpfige Familie aus Sachsen und ein Brite, werden noch immer vermisst.

Zwei Drittel des Jemen stehen nicht unter Regierungskontrolle. Separatisten herrschen dort, lokale Stämme, die al-Qaida nahestehen oder auf eigene Rechnung arbeiten. In der Provinz Saada, der nördlichen Grenzregion zu Saudi-Arabien, herrscht Krieg: Zum sechsten Mal seit 2004 versucht dort die Regierung unter Präsident Ali Abdallah Saleh die schiitischen Rebellen des Al-Huthi-Clans zu zerschlagen. Ein Konflikt, der Tausende das Leben kostete und rund 150 000 Menschen zu Flüchtlingen machte.

"Verbrannte Erde" nennt die Regierung ihre vor einem Monat begonnene militärische Offensive. Sie soll die al-Huthis, so Präsident Saleh, "ausrotten, wo und wie auch immer". Die "Terroristen" wollten die Regierung stürzen und eine Herrschaft unter einem schiitischen Führer (Imam) errichten. Dabei würden sie aus dem Iran und dem Irak unterstützt. "Wir können zwar nicht offiziell den Iran beschuldigen", sagte Jemens Präsident, "aber die Iraner haben uns angeboten zu vermitteln, also müssen sie Kontakte zu den Rebellen haben." Ähnlich verhalte es sich mit Muktada al-Sadr, dem radikalen Schiitenführer aus dem Irak, der sich ebenfalls als Mediator zur Verfügung gestellt habe. Clanführer Abdelmalik al-Huthi wehrt sich: "Wir verteidigen nur unsere kulturelle Identität gegen Diskriminierung, Marginalisierung und Ausgrenzung." Fast 24 Millionen Menschen leben im Jemen, etwa 30 Prozent gehören zum al-Huthi-Clan.

Bis zur Gründung der Republik Jemen 1962 war das Land von einem Imam als Staatoberhaupt regiert worden. 1000 Jahre stand das Land unter der Domäne des Stammes der Zaiditen, zu dem der Al-Huthi-Clan gehört. Zaiditen sind eine schiitische Sekte, die nicht wie im Iran an zwölf Imame glaubt, sondern nur fünf anerkennt. Zudem lehnt sie den Führungsanspruch des iranischen geistlichen Führers Ali Chamenei als Groß-Ayatollah ab. Eine fundamentale Diskrepanz, die es unwahrscheinlich macht, dass die Islamische Republik die jemenitischen Rebellen unterstützt.

"Niemand weiß genau, woher die al-Huthi ihr Geld bekommen", sagt Nadia al-Sakaf, Chefredakteurin der "Yemen Times". "Es gibt Spekulationen, dass sie von einflussreichen Gruppen der jemenitischen Gesellschaft unterstützt werden." Dazu gehöre Ali Mushin al-Ahmar. "Er ist der Halbbruder des Präsidenten, Militärkommandeur von Nordwestjemen, bekannt für seine extremen religiösen Ansichten und seine Beziehungen zu al-Qaida." Al-Ahmar sei für das Training von Dschihadisten im Jemen verantwortlich, bevor sie nach Afghanistan und in den Irak gehen.

Es sei auch sehr leicht, sich direkt bei der jemenitischen Armee zu bedienen. Im Korruptionsindex von Transparency International rangiert der Jemen auf Platz 141 von 180 Ländern. "Die Soldaten verkaufen Nahrungsmittel, Gewehre oder sogar Panzer", meint al-Sakaf. "Ihr Sold ist miserabel, und die Armut im Land ist groß." 40 Prozent aller Jemeniten leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. 70 Prozent haben keine Ausbildung und keine medizinische Versorgung. Die Inflationsrate beträgt 27 Prozent. Die ökonomische Schieflage wird von rund 800 000 Flüchtlingen verstärkt, zumeist aus Somalia, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind.

Hinzu kommen politische Querelen durch eine Sezessionsbewegung im Süden des Landes, die die Wiedervereinigung mit dem Norden von 1990 rückgängig und einen unabhängigen Staat gründen möchte. Demonstranten forderten zuletzt "die Revolution". Nasser Mansour Hadi, politischer Sicherheitschef und Bruder des Vizepräsidenten, überlebte einen Anschlag nur knapp. "Die Einwohner im Süden wurden zu Menschen zweiter Klasse degradiert, politisch und sozial", erklärt Abdallah al-Faqih, Politikwissenschaftler der Universität Sanaa. "Nun wollen sie alles zurück."

Die panarabische Zeitung "al-Hayat" ließ Arabia Felix in einer Karikatur bereits über eine Klippe fallen. Ein Jemen am Abgrund bereitet nicht nur dem Nachbarstaat Saudi-Arabien, sondern auch den USA Sorgen. Al-Qaida könnte den Zerfall des jemenitischen Staates nutzen. Nach der erfolgreichen Zerschlagung des Terrornetzwerks in Saudi-Arabien wurde der Jemen zum Rückzugsgebiet der militanten Islamisten. Wie einst in Afghanistan gibt es auch im Jemen Verbindungen zwischen al-Qaida und staatlichen Institutionen. Die gehen auf den Bürgerkrieg gegen die sozialistische Sezessionsbewegung 1994 zurück. Damals kämpften Islamisten Seite an Seite mit den Soldaten der Regierungsarmee.

US-Präsident Barack Obama weigert sich, die 100 verbliebenen jemenitischen Gefangenen in Guantánamo in ihr Heimatland zu überstellen, obwohl er damit der angekündigten Schließung des Hochsicherheitstraktes auf Kuba einen entscheidenden Schritt näher käme. In Einklang mit Saudi-Arabien sollen die Jemeniten zuerst ein Rehabilitationsprogramm im saudischen Königreich durchlaufen, in dem schon über 100 andere Islamisten erfolgreich therapiert wurden.

US-Geheimdienstdirektor Dennis Blair sagte vor dem Kongress, der Jemen entwickele sich "zu einem Schlachtfeld der Dschihadisten und zur Basis für al-Qaida". "Das kann gut möglich sein", meint Nadia al-Sakaf und fürchtet noch Schlimmeres als im Irak oder Afghanistan: "Wir sind bewaffnet, Analphabeten, hungrig und arm."

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