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Der alte Glanz kehrt zurück

Tanger ist bei Künstlern und Jetset wieder en vogue. Und Marokkos König investiert in die Hafenstadt - als Brücke nach Europa
Alfred Hackensberger

TANGER. Gehobene Ansprüche waren schon immer etwas teuerer. Für 12,5 Millionen Euro steht die "Villa Mabrouka", das "Haus des Glücks", in der Altstadt von Tanger zum Verkauf. 8 500 Quadratmeter Luxus, ganz in der Nähe der Kasbah, der mittelalterlichen Burg, mit Terrassengärten, Swimmingpool, Badehaus und Wasserfall sowie einem atemberaubenden 180-Grad-Panoramablick über die Meerenge von Gibraltar.

Es ist das ehemalige Anwesen von Yves Saint Laurent, dem 2008 verstorbenen französischen Modedesigner. Spontan hatte er es vor zwölf Jahren bei einem Kurzbesuch in der marokkanischen Hafenstadt an einem verregneten Winternachmittag für 1,4 Millionen Euro gekauft. Eine Villa, die sich nur die wenigsten leisten können, aber eines der letzten der ohnehin wenigen Immobilienobjekte, die in dieser Wohngegend von Tanger noch zu haben ist.

Die Stones kifften im Café Hafa

"Die guten Häuser, von denen man eine Aussicht auf die Meerenge und die spanische Halbinsel hat, sind kaum mehr zu finden und wenn, dann sehr, sehr teuer", erklärt Francisco Corcuera, ein chilenischer Maler, von dessen Dachterrasse man die Altstadt von Tanger überblickt. "Hier vorn, das ist das Haus eines deutschen Fotografen, und das da hinten gehört einem französischem Schriftsteller", sagt Francisco und deutet ins weiße Häusermeer. "In den letzten Jahren kamen immer mehr Europäer, kauften ihre Traum-Immobilie und die Preise stiegen ins Unermessliche".

Zu diesen Ausländern gehört auch Bernard-Henry Levy, der französische Bestseller-Philosoph. Er leistete sich ein Stück weiter, an den Klippen des Mittelmeers, eine extravagante Villa für mehrere Millionen. Selbst von der Toilette aus soll man einen Blick auf die Küste Spaniens haben, sagt der Kellner des "Café Hafa", in dem schon die Rolling Stones ihr Haschisch rauchten und das direkt an Levys Haus angrenzt.

Tanger ist wieder en vogue, was viele nicht für möglich gehalten hätten. Reisende, die in den 80er- und 90er-Jahren die Hafenstadt besuchten, erinnern sich an verwahrloste Fassaden, den Geruch von Müll in den Straßen und dazu ein Heer von selbsternannten Reiseführern, die Fremde auf Schritt und Tritt belästigten. Wer etwas vom Flair der legendären "Internationalen Zone" der 40er- und 50er-Jahre suchte, wurde enttäuscht.

Im Kino war das besser zu sehen. Mit dem Film "Casablanca" (1942) hatte Hollywood der Stadt Tanger bereits früh ein Denkmal gesetzt. Die Hafenstadt war damals tatsächlich ein Eldorado für Millionäre, Schmuggler, Geheimagenten und Bankiers. "Jeden Tag wurde irgendwo eine große Party gefeiert", erzählte der amerikanische Schriftsteller Paul Bowles gerne, der bereits in den 40er-Jahren in Tanger wohnte und den sein Marokko-Roman "Himmel über der Wüste" international bekannt machte. Neben Paul Bowles kamen auch andere Künstler wie Tennessee Williams, Truman Capote, Francis Bacon, Jean Genet oder William S. Burroughs. Viele von ihnen waren homosexuell. Denn Tanger war nicht nur ein Vergnügungszentrum für Heterosexuelle. Im Ausgeh-Viertel rund um den Socco Chico gab es jede Menge Etablissements mit weiblichen wie männlichen Prostituierten jeder Altersklasse und für jegliche sexuelle Präferenz. Moralischen Puristen galt Tanger damals als Sündenpfuhl.

Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 ging es mit der Libertinage schnell zu Ende, wobei Tanger noch bis in die späten 60er-Jahre ein Treffpunkt des Jetsets blieb. Wie der Glanz dieser alten Tage ausgesehen haben mag, wurde 1989 von Malcom Forbes noch einmal zelebriert. Zu seinem 70. Geburtstag ließ der millionenschwere Verleger 800 der reichsten und berühmtesten Persönlichkeiten der Welt nach Tanger einfliegen, um in seinem "Palais Mendoub" zu feiern. Es war ein letzter schillernder Farbtupfer für eine Stadt, die schon längst in die kulturelle und politische Bedeutungslosigkeit versunken war.

Hassan II., der ehemalige König von Marokko, hatte für Tanger wenig übrig. In den 37 Jahren seiner Regentschaft besuchte er die Stadt ein einziges Mal und ließ sie administrativ wie finanziell vernachlässigen. Das änderte sich erst mit seinem Tod 1999. Der neue Monarch, Mohammed VI., erkannte den Wert der geopolitischen Lage als Tor zu Afrika und Brücke zu Europa. Mit ihm begannen die Umgestaltung Tangers und die Neustrukturierung des Nordens von Marokko.

Wer Tanger von früher kennt, wird heute überrascht sein. Die Fahrt vom neuen Flughafenterminal in die Stadt führt nicht mehr an brachliegenden Feldern vorbei, sondern an neuen Wohnhäusern, Bürotürmen und Wohnkomplexen im Rohbau, die alle, wie es auf großen Plakaten heißt, "out-standing" und "deluxe" sind.

Wer mit der Fähre aus Spanien ankommt, den empfangen die weiß glänzenden Fassaden der Avenida Espana, zudem eine neu angelegte Fußgängerzone. Überall in der Stadt wurden Plätze umgestaltet, Parks neu bepflanzt und als Ruhezonen eingerichtet. In der Bucht von Tanger entstehen Hotels und Strandbäder. An der Peripherie der Stadt werden Wohnanlagen gebaut, oft für mehrere zehntausend Bewohner. "Man versucht das Missmanagement der vergangenen Jahrzehnte zwischen Zentrum und Peripherie auszugleichen", sagt Khalid Amine von der Universität Tetouan. "Man will die Spannung aus dem Zentrum nehmen, in dem man neue urbane Zentren um die Stadt herum baut".

Kritik an der Neugestaltung des öffentlichen Raums kommt gerade von den Europäern, die in Tanger wohnen. "Der Stadt verliert ihren Charme, ihre Originalität", klagt ein deutsches Ehepaar, das seit vier Jahren in der Hafenstadt lebt. "Alles wird modernisiert", fügen beide kopfschüttelnd an. Für Khalid Amine, Professor für postkoloniale Studien, ist eine solche Haltung nur ein Anlass zu schmunzeln. "Die Westeuropäer lassen ihre Konsumkultur hinter sich, um in Marokko in eine möglichst natürliche Umwelt und emotionale Intensität einzutauchen", sagt er. "Die Marokkaner dagegen wollen die Modernität, wie sie vom Westen vorgelebt wird". Es sind Haltungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten, sich aber bei der Wahl des Wohnraums sehr gut ergänzen. Europäer beziehen die Häuser der Altstadt, die den Marokkanern zu altmodisch sind und die sie lieber gegen eine Wohnung in einem der neuen Appartementgebäude eintauschen.

"Tanger ist die Schnittstelle zu Europa", sagt Khalid Amine. "Ob man will oder nicht, die Moderne ist hier unaufhaltsam". Allerdings müsse man aufpassen, dass in Marokko nichts aus dem Gleichgewicht gerät, wie etwa in Dubai oder Kuwait. Dort sei die Architektur eine Hymne an die Moderne oder Postmoderne und lasse die Tradition vollkommen außer Acht.

Eine neue wirtschaftliche "Schnittstelle" zu Europa ist der im Juli 2007 in Betrieb genommene Mittelmeerhafen TangerMed und das angegliederte 500 Quadratkilometer große Industriegebiet. Der Autokonzern Renault will dort ab 2013 jährlich 200 000 neue Wagen produzieren - sofern es die globale Krise denn erlaubt. Renaults ursprünglicher Partner Nissan hat seine Beteiligung am neuen Werk angesichts sinkender Absatzzahlen bereits zurückgezogen. Das Großprojekt TangerMed soll in Zukunft insgesamt 140 000 Menschen eine neue Arbeit geben.

Tunnel nach Gibraltar geplant

Eine weitere Schnittstelle, bei der es um weit größere Dimensionen geht, ist der geplante Gibraltar-Tunnel. Er soll Afrika und Europa unter dem Mittelmeer hindurch mit einer Bahnstrecke und einem Autoshuttleservice verbinden. Die kürzeste Entfernung zwischen den Kontinenten beträgt 14 Kilometer. "Aber das Meer zwischen Tanger und Tarifa ist eintausend Meter tief, was einen Tunnelbau dort völlig unmöglich macht", erklärt Giovanni Lombardi, ein Schweizer Architekt, dessen Büro die Machbarkeitsstudie für das Projekt erarbeitet hat. Deshalb müsse ein Umweg von 40 Kilometern unter der Meerenge von Gibraltar gegraben werden. "Als erstes wird ein Sondierstollen ausgehoben", erläutert der Architekt, "und der wird kaum vor 2030 fertig sein". Die Kosten für das Megaprojekt schätzt man heute auf gut zwölf Milliarden Euro, wobei ein Termin für die Inbetriebnahme noch in den Sternen steht.

Für die Stadt Tanger würde der Gibraltar-Tunnel einen Sprung in ein völlig neues Zeitalter bedeuten. Ob dann noch auf eine Balance zwischen Moderne und Tradition Rücksicht genommen wird, wie es Professor Khalid Amine anmahnt? "Tanger erfindet sich immer wieder neu", sagt Amine hoffnungsvoll. Das habe die Stadt in ihrer wechselhaften Geschichte bewiesen

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