Direkt zum Hauptbereich

In Aleppo kommt der Tod von oben

Die syrische Luftwaffe setzt Fassbomben ein, obwohl – oder weil – sie auch viele Zivilisten töten. Ein übergelaufener Pilot berichtet Von Alfred Hackensberger

Bei jedem noch so leisen Brummen richten die Bewohner von Aleppo ihren Blick sorgenvoll nach oben. Gespannt suchen sie den Himmel nach dunklen Flecken ab, die sich, näher kommend, als Hubschrauber der syrischen Luftwaffe entpuppen könnten. Denn jeden Augenblick kann über ihnen eine dieser Fassbomben abgeworfen werden, die das Regime seit über zwei Monaten bevorzugt verwendet. Es sind improvisierte Bomben, aus Öltonnen gefertigt, mit Sprengstoff, Benzin und extra Schrapnell gefüllt, um die tödliche Wirkung zu verstärken. 20 von ihnen fallen derzeit täglich auf die Rebellengebiete von Aleppo. Sie werden von Soldaten per Hand über die Ladeflächen der Hubschrauber gerollt und abgeworfen. Die Besatzung weiß nicht, wo diese bis zu 500 Kilogramm schweren Sprengsätze einschlagen.
"Diese Fassbomben sind absolut kriminell, sie töten völlig willkürlich", sagt Abu Sari, ein ehemaliger Oberst und Hubschrauberpilot der syrischen Luftwaffe. "Daran erkennt man die mörderische Natur des Regimes von Baschar al-Assad." Für den ehemaligen Offizier ist es ein Rätsel, dass man sich mit "diesen Verbrechern" an einen Tisch setzt. Abu Sari hält nichts von den Friedensgesprächen zwischen Opposition und Regierung, die sich diese Woche zur mittlerweile zweiten Verhandlungsrunde in Genf trafen. In den beiden Wochen seit Beginn der Konferenz in der Schweiz sollen laut Angaben der Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter (SOHR) mehr als 700 Menschen durch Fassbomben getötet worden sein. "Sagt das nicht genug über den Friedenswillen der Regierung?", fragt Abu Sari rhetorisch.
Die Industriemetropole Aleppo im Norden des Landes wird seit Ende November verstärkt bombardiert. Zuvor hatte es sechs Monate lang nur sporadische Angriffe gegeben. Es war eine Art Alltag in die seit Juni 2012 umkämpfte Stadt zurückgekehrt. Märkte, Geschäfte, selbst Restaurants waren wieder geöffnet. Die Versorgungslage mit Lebensmitteln, Benzin und Kochgas hatte sich normalisiert. Viele, die aus der größten Stadt Syriens geflüchtet waren, sind wieder zurückgekehrt. Damit ist es nun vorbei. Angst und Schrecken regieren wieder. Zehntausende der Bewohner Aleppos sind in den vergangenen Wochen über die Grenze in die Türkei geflüchtet, die bereits 700.000 syrische Flüchtlinge beherbergt.
"Einige Stadtteile sind wieder verlassen", sagt Mohammed aus Aleppo, der trotz der ständigen Angriffe vor drei Wochen heiratete. "Das Leben muss weitergehen", erklärt er lächelnd. Dabei hat der Englischlehrer vor einigen Tagen selbst seine Schwester und ihren Mann in die Türkei begleitet. "Es gibt in Aleppo keinen Ort mehr, an dem man wirklich sicher ist. Es kann gut möglich sein, dass ich auch weggehe." Zumal Mohammed seine Wohnung verloren hat und mit seiner Frau bei Verwandten untergekommen ist. In seinem Viertel sind gleich vier Fassbomben niedergegangen, die mehrere Gebäude zerstörten, darunter eine Schule und eine Moschee. Die Druckwelle hat die Fassade des Appartementhauses, in dem auch seine Wohnung lag, völlig zerstört.
"Das ist Teil der Strategie des Regimes", behauptet der ehemalige Hubschrauberpilot Abu Sari. Der Oberst war bereits im September 2011 zu den Rebellen übergelaufen. "Mit Terror vertreibt man die Bevölkerung, um danach militärisch freie Hand zu haben." Sobald es keine Zivilisten mehr gebe, könne die Armee Rebellengebiete ohne jede Einschränkung beschießen. "Sobald die Artillerie ungestört loslegen kann, ist das Ende des Widerstands nur ein Frage der Zeit", erklärt Abu Sari. Wenige Wochen nach Beginn der Bombenoffensive in Aleppo meldete die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Zweifel an der militärischen Zielsetzung der Operation. "Die syrische Luftwaffe ist entweder kriminell inkompetent, da es ihr egal scheint, wie viele Zivilisten sie tötet", sagte Ole Solvang von HRW. "Oder sie greift gezielt zivile Gebiete an."
Vor Beginn einer Offensive werfen syrische Hubschrauber über Rebellengebieten Flugblätter ab, um die Zivilisten zu warnen. Gleichzeitig beschießt und bombardiert man jedoch zivile Wohngebiete. Das führte in der Stadt Kusair, nahe der libanesischen Grenze, zum Exodus der Bevölkerung. Danach folgte drei Tage lang Dauerbeschuss. "Es stand nichts mehr, wo wir uns hätten verstecken können", berichtete ein Kämpfer aus der Grenzstadt, die Anfang Juni von den Kämpfern der Freien Syrischen Armee aufgegeben werden musste.
In Homs wurden mehr als eine Woche lang die von Rebellen besetzten Stadtteile Tag und Nacht von Artillerie und Panzern beschossen. So nahm die syrische Armee strategisch wichtige Viertel ein, was zur totalen Abriegelung der Altstadt führte. Anfang dieser Woche konnten erstmals Hilfslieferungen die dort seit über einem Jahr Eingeschlossenen erreichen. Mehr als 1100 Zivilisten wurden evakuiert. Die humanitäre Intervention in Homs war von Opposition und Regierung im Rahmen der Friedensverhandlungen in Genf beschlossen worden.
Ex-Oberst Abu Sari will insgesamt 57 seiner Kollegen bei der Luftwaffe überredet und ihnen geholfen haben, zu desertieren. Zu den bei der Luftwaffe verbliebenen Soldaten habe er keinerlei Kontakt. Der Großteil der noch diensthabenden Piloten seien Angehörige der Alawiten. Das ist eine Religionsgruppe des schiitischen Islams, zu der auch Präsident Assad gehört. "Sie leben auf dem Flughafen, werden von der eigenen Familie und dem Rest der Welt abgeschottet", sagt er. Abu Sari kennt einige der Soldaten, die Fassbomben abwerfen. "Miese Verbrecher, die kein Gewissen haben", sagt er angewidert. Den Piloten des MiG-23-Kampfflugzeuges, dessen Maschine abgeschossen und der von Rebellen gefangen genommen wurde, hat Abu Sari im Gefängnis der Stadt al-Bab besucht. "Er ist glücklich, nicht mehr fliegen zu müssen, und würde sich am liebsten den Rebellen anschließen", erzählt Abu Sari schmunzelnd. "Aber man vertraut ihm nicht, und er muss weiter einsitzen."
Über mehr als 300 Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart soll die syrische Luftwaffe vor Beginn des Bürgerkriegs verfügt haben. Davon seien heute nicht mehr als 20 einsatzfähig, behauptet Abu Sari. Auch von den einst über 100 Hubschraubern seien nicht mehr als 20 in Betrieb. "Die meisten sind schwer beschädigt oder kaputt. Sie bräuchten größere Reparaturen in Russland", erklärt der Ex-Militär. Normale Ersatzteile und Wartung seien nicht das Problem, da es eine Luftbrücke mit den Russen gebe. Sie fliegen die vier Militärflughäfen in Hama, Damaskus, Homs und Latakia an, die noch in Betrieb seien. "Moskau liefert auch Waffen, darunter die Bomben für die Kampfflugzeuge", so Abu Sari weiter. Der Iran hingegen würde nur Munition für Panzer und Artillerie zur Verfügung stellen. Diese beiden mit Assad verbündeten Länder bezeichnet der ehemalige Pilot erzürnt als "Komplizen am Mord des syrischen Volkes".
In zwei Monaten wäre es mit dem Regime vorbei, ist sich Abu Sari sicher. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass der Westen die dafür benötigten Waffen schickt. "Wir bräuchten 2000 Panzerabwehrraketen und 50 Manpads", erklärt der ehemalige Offizier. Manpads sind tragbare Luftabwehrraketen, die, von der Schulter aus abgeschossen, ihr Ziel nach dessen Hitzeentwicklung verfolgen und automatisch treffen. Es ist eine bei Terroristen beliebte Waffe. Man kann mit ihr Hubschrauber und Kampfflugzeuge, aber auch zivile Passagiermaschinen abschießen. Aus diesem Grund wurden diese Waffen bei den Lieferungen, die Saudi-Arabien und Katar an die Rebellen organisierten, bisher ausgeschlossen. "Es gab einige wenige Manpads, die auf dem Schwarzmarkt gekauft wurden", erklärt Abu Sari. Nachdem damit ein Hubschrauber abgeschossen worden sei, würden die Piloten in großer Höhe fliegen.
"Nun werfen sie aus 2000 Metern die Fassbomben ab, ohne zu wissen, wo sie landen", sagt er. Über die Geländegewinne der syrischen Armee in Aleppo macht sich Abu Sari keine Sorgen. Sie mögen in den vergangen Wochen einige Stadtteile eingenommen haben, aber alle Rebellengruppen hätten bereits zur Gegenoffensive aufgerufen. "Glauben Sie mir, das Regime hat keine Chance."

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geschützt, verdrängt, geduldet

Jüdisches Leben in islamischen Ländern – eine gefährdete Tradition Der durch den Nahostkonflikt genährte Antizionismus in der arabischen Welt lässt beinahe vergessen, dass auch in muslimischen Ländern jüdische Gemeinschaften leben. Allerdings hat die Abwanderung aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund von politischem Druck fast überall zu einem starken Rückgang der jüdischen Bevölkerung geführt. Im jüdischen Kasino von Tanger scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Gut gekleidete Damen und Herren sitzen an mit grünem Filz belegten Tischen und spielen Karten. Mehrere Kronleuchter geben dem grossen Saal eine exklusive Atmosphäre. Wem nicht nach Kartenspiel zumute ist, der sitzt an der Bar und lässt sich einen Apéritif oder auch nur ein Bier servieren. Eine Abendgesellschaft im Klub, wie sie vo

Christoph Luxenberg - Interview/ English

The Virgins and the Grapes: the Christian Origins of the Koran A German scholar of ancient languages takes a new look at the sacred book of Islam. He maintains that it was created by Syro-Aramaic speaking Christians, in order to evangelize the Arabs. And he translates it in a new way by Sandro Magister That Aramaic was the lingua franca of a vast area of the ancient Middle East is a notion that is by now amply noted by a vast public, thanks to Mel Gibson’s film “The Passion of the Christ,” which everyone watches in that language. But that Syro-Aramaic was also the root of the Koran, and of the Koran of a primitive Christian system, is a more specialized notion, an almost clandestine one. And it’s more than a little dangerous. The author

Der schwarze Block von Kurdistan

US-Präsident Donald Trump hat die Kurden im Stich gelassen. Jetzt fürchten sie, dass ein Angriff aus der Türkei kurz bevorsteht. Sie trainieren in Camps für den Ernstfall – und hoffen auf die Hilfe linksradikaler Utopisten aus Europa. Von  Alfred Hackensberger S o sieht also die Hoffnung der Kurden in  Nordsyrien  aus. In einem Hof, der von einer Mauer umgeben ist, spielen ein Franzose und drei Dänen mit kleinen Hunden. „Eine der wenigen Abwechslungen“, sagt ein junger Mann, er kommt aus Paris. In Frankreich war er in anarchistischen Zirkeln aktiv. Auch die jungen Leute aus Dänemark sind Anarchisten. Ihre Mitstreiter aus der Türkei sind wiederum Marxisten. Ihre Namen geben sie nicht preis. Fotografieren lassen sie sich nur vermummt, sie befürchten rechtliche Konsequenzen in ihren Heimatländern. Die Internationale Brigade ist ein Sammelbecken von Linksidealisten, die alle auf ihre Weise von einem sozialistischen Paradies träumen. Und das liegt für sie im Norden Syriens. Doch di